Selbstverteidigung in Curahuasi, Peru – Chance und Bereicherung

Seit Juli 2020 bin ich, Sabine Teichert, als Missionarin im Einsatz im Hospital Diospi Suyana in Curahuasi im Süden von Perú.

Neben meiner Arbeit als Pflegedienstleitung im Hospital, engagiere ich mich in meiner Freizeit in der Kinderclubarbeit. Wir erreichen mit verschiedenen Teams, die hauptsächlich aus Diospi Suyana Mitarbeitern und Missionaren bestehen, in verschiedenen Wohngebieten und Ortsteilen in und um Curahuasi ca. 500 bis 600 Kinder.  Wir spielen, singen, beten, malen mit den Kindern und vermitteln ihnen den Glauben an Jesus Christus mit Geschichten aus der Bibel auf vielfältige Weise. Im Vordergrund stehen oft die Wertschätzung und das Wahrnehmen der Kinder und die praktische Weitergabe und das Erfahren der Liebe Gottes.

Für die Kinder ist jeder Kinderclub immer wieder ein Highlight in ihrem Alltag. Viele Kinder bekommen zuhause nicht die Zuwendung und Aufmerksamkeit, die sie so nötig brauchen. Sie kennen es oft gar nicht, dass Erwachsene sich Zeit nehmen, mit ihnen spielen, lesen, erzählen oder sie einfach mal in den Arm nehmen. Langsam ist die Idee gewachsen, in den Ortsteil Patapata umzuziehen und dort ein Angebot für Kinder und Frauen am Ortsrand anzubieten. Die Menschen, besonders die Frauen und Kinder in diesem Ortsteil haben schon immer mein Herz angesprochen. Dort wohnen die meisten Menschen in einfachen Verhältnissen. Die Erwachsenen arbeiten oft schwer in der Landwirtschaft oder haben kleine Tiendas (Verkaufsraum, oft im Wohnhaus). Sie stehen bei Tagesanbruch auf, wenn es dunkel wird, beenden sie ihr Tagesgeschäft.

Alkohol und häusliche Gewalt gehören in vielen Familien mit zum Tagesablauf. Die Kinder werden oft sich selbst überlassen oder arbeiten mit.

Die Körperhaltung und die Blicke der Frauen und Mädchen haben jedes Mal mein Herz berührt, wenn ich durch diesen Ortsteil gegangen bin. So entstand die Idee, einfach ein Angebot zu schaffen, bei dem den Kindern, Mädchen, Frauen Wertschätzung entgegengebracht wird und bei dem sie erkennen, dass sie Gottes geliebte Kinder sind und seine lebendige Liebe erfahren können.

In der peruanischen Kultur haben die Mädchen und Frauen weniger Rechte. Sie lernen von Anfang an, dass sie gehorchen müssen. Ihre eigenen Wünsche und Träume können sie oft noch nicht einmal äußern, weil sie gar nicht darüber nachdenken. Zuhause erfahren sie oft nicht wirklich Liebe und Anerkennung. Häusliche Gewalt ist hier so an der Tagesordnung, dass sich eigentlich niemand darüber aufregt. Hier in den Bergen gilt vielerorts noch „die Regel“: Ein Mann, der seine Frau nicht schlägt, liebt sie gar nicht.

Wir möchten bei den Teenie-Mädels erreichen, dass sie diese Situation nicht als selbstverständlich hinnehmen und nicht alles mit sich machen lassen.

In meinem Heimatdienst Anfang 2023 konnte ich in Bopfingen an der Trainerblockausbildung teilnehmen. Mit Hilda konnte ich ganz gezielt das Kindertraining kennenlernen und Impulse für meine Arbeit hier in Curahuasi bekommen.

Mit dem Kinderclub Patapata haben wir im September 2023 in meinem Innenhof begonnen. Es kommen jeden Freitag etwa 80 Kinder aus verschiedenen Altersgruppen.

Aus dieser Arbeit heraus ist die Teenie-Mädels-Gruppe entstanden. Damaris Götz, OTA und ebenfalls Missionarin im Hospital Diospi Suyana, und ich bieten in diesem Jahr zum ersten Mal im Januar und Februar (Sommerferienzeit in Peru) einen Selbstverteidigungs-Workshop für sie an.

Wir haben gezielt Mädchen aus dem Kinderclub dazu eingeladen.

Wir beginnen mit einem geistlichen Input, mit Impulsen aus der Bibel, Gebet und Gesprächsrunde. Es ist für die Mädchen eine völlig neue Erfahrung, dass wir auf ihre Fragen eingehen und uns für sie interessieren. Für uns ist diese Zeit auch eine absolute Bereicherung. Wir lernen die Mädchen besser kennen und bekommen mehr Einblick in die peruanische Kultur und die Lebensweise hier im Ort.

Im zweiten Teil  gibt es eine Übungseinheit zur Selbstverteidigung. Nach und nach lernen sie ihre Schlagkraft kennen und sehen ihre innere Stärke.

Es ist klasse zu sehen, wie die Mädchen nach den ersten zaghaften Schlagübungen inzwischen auf die Schlagpolster einschlagen und treten und wie aus einem kaum hörbaren verschämten „no“ (Nein) langsam ein lautes „NO!!“ wird, das jeder hören kann.  Am Ende der Stunde bilden wir zusammen einen Kreis und rufen gemeinsam nochmal ein lautes „NO!!“. Das ist unser Schlachtruf geworden.

Die Idee unserer Arbeit mit den Kindern, Teenies und Frauen ist, den Kreislauf von Missachtung, Gewalt, Alkohol zu durchbrechen und Werte wie Mut, Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstbehauptung zu prägen und ihnen bewusst zu machen, dass sie Gottes geliebte Kinder sind und die Vergebung und Liebe durch Jesus erfahren können, der am Kreuz auch für sie starb.

 

Sabine Teichert, Curahuasi, Februar 2024